Bei der Landesbauordnung nicht die Zeit zurückdrehen

Ein Elektroauto an einer Ladesstation (Bild: © Norbert Leven).

In Baden-Württemberg steht eine Reform der Landesbauordnung an. Electrify-BW, der Bundesverband eMobilität und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club Baden-Württemberg (ADFC BW) appellieren gemeinsam an die Politik, die Landesbauordnung für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten.

Gemeinsame Pressemitteilung von Electrify-BW e.V., dem Bundesverband eMobilität e.V. und des ADFC Baden-Württemberg e.V.

In der Diskussion um die Reform der Landesbauordnung geht es vor allem um Fahrradstellplätze und die Begrünung von Gebäuden in Betonwüsten. Teile der Landesregierung haben diese beiden Punkte als nicht zumutbare Kostentreiber identifiziert, die die Bautätigkeit im Land ersticken würden. Sie wollen mit der Reform der Landesbauordnung diese beiden Punkte ersatzlos streichen.

Fakt ist jedoch, dass die Bauwirtschaft in Baden-Württemberg boomt und zahlreiche neue Wohngebäude entstehen. Die Bauwirtschaft ist komplett ausgelastet. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Bautätigkeit durch die Streichung der verhältnismäßig günstigen Fahrradstellplätze signifikant steigen würde. Auf der anderen Seite würden zahlreiche Wohngebäude entstehen, die nicht auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet sind.

Diese Immobilien würden dadurch mittelfristig an Attraktivität und damit an Wert verlieren.

Mobilitätswende, Klimawandel und neuen Wohnraum gemeinsam denken

Unbestritten ist, dass geeignete Maßnahmen gefunden werden müssen, um dem Wohnraummangel etwas entgegensetzen zu können. Auf der anderen Seite dürfen wir dadurch nicht unsere Städte zu unattraktiven Betonwüsten verkommen lassen. Die mikroklimatische Wirkung von Begrünung im Stadtraum ist unbestritten. Durch den Klimawandel ist auch in Baden-Württemberg mit einem Anstieg der mittleren Temperaturen zu rechnen. Wir müssen also bereits heute dafür planen, dass die Wohngebäude von morgen, für diese Herausforderungen gerüstet sind.

Das Fahrrad ist heute ein wichtiger Verkehrsträger und seine Rolle in einem intermodalen Verkehrsansatz wird weiter steigen. Bereits heute nutzen 30 Millionen Menschen in Deutschland mehrmals in der Woche das Rad. Insgesamt hat das Fahrrad somit einen Anteil von zwölf Prozent am Verkehr. Es zeigt sich immer wieder, dass bessere Rahmenbedingungen dazu führen, dass mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen und weniger Fahrten mit dem Pkw machen. Dazu gehört auch, dass die Fahrräder am Wohnort sicher verwahrt werden können. Gerade der Boom bei Pedelecs, die teurer und schwerer als Fahrräder ohne Motor sind, führt dazu, dass sichere und bequeme Abstellmöglichkeiten für Fahrräder in Wohngebäuden unerlässlich werden. Noch mehr auf geschützte ebenerdige Parkplätze sind Lastenfahrräder angewiesen.

Im Vergleich zu einem Pkw-Stellplatz ist der Platzbedarf für ein Fahrrad verschwindend gering. Mit modernen Aufbewahrungssystemen sinkt der Platzbedarf pro Fahrrad auf unter einen halben Quadratmeter. Dementsprechend ist die Bereitstellung von Fahrradabstellplätzen in Wohngebäuden vergleichsweise preisgünstig möglich. „Wer heute meint, dass verpflichtende Fahrradabstellanlagen in Wohngebäuden das Bauen erschweren, verkennt die gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu einer nachhaltigen Mobilität und erkennt die wahren Erschwernisse des Bauens nicht.“ meint Gudrun Zühlke, Landesvorsitzende des ADFC Baden-Württemberg. „Wenn die Abstellanlage intelligent geplant ist, wird der Platz mit den Bewohnern alt, dann lassen sich z.B. Kinderwagen, Fahrräder und Rollatoren dort abstellen.“

Verkehrsträger nicht gegeneinander ausspielen

Auch in Zukunft wird das Automobil eine wichtige Rolle bei der individuellen Mobilität spielen. Es ist abzusehen, dass sich mittelfristig neue Technologien wie die Elektromobilität durchsetzen werden. Es sind also zwingend beim Bau neuer Gebäude Lösungen für eine steigende Anzahl von Elektrofahrzeugen (auch Pedelecs und Lastenfahrräder) mitzudenken. Anders als Autos mit Verbrennungsmotor werden Elektrofahrzeuge überwiegend dort geladen, wo sie lange stehen. Ladeinfrastruktur an Parkplätzen an Wohngebäuden und beim Arbeitgeber wird hier eine zentrale Rolle für den Erfolg der Mobilitätswende spielen. „Man darf sich von den verhältnismäßig niedrigen Zulassungszahlen bei Elektrofahrzeugen heute nicht täuschen lassen“, sagt die Sprecherin von Electrify-BW, Jana Höffner: „Es ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen mit der kommenden breiteren Modellvielfalt massiv steigen wird. Die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen ist bereits so groß, dass viele Hersteller Lieferzeiten von über zwölf Monaten haben“, so Jana Höffner weiter.

Die Reform der Landesbauordnung müsse daher solche Szenarien mitdenken. Die nachträgliche Installation einer Ladestation an einem Wohngebäude kann je nach Aufwand bis zu 10.000 Euro kosten. Im Schnitt belaufen sich die Kosten auf etwa 2.000 bis 4.000 Euro. Der Hauptkostentreiber sind Installations- und Verlegearbeiten, die durch Erdarbeiten oder Kernbohrungen entstehen. Die kostengünstige Verlegung von Leerrohren zur nachträglichen Installation von Ladeinfrastruktur an Stellplätzen und in Tiefgaragen bereits in der Bauphase senkt die Kosten erheblich. In diesem Zuge sollten auch bereits Plätze für getrennte Stromzähler im Hauptschaltkasten vorgesehen werden.

„Wir hören immer wieder Klagen von Menschen, die sich gerne ein Elektrofahrzeug anschaffen würden; derzeit aber keine rechtliche Handhabe haben, am Stellplatz ihrer Eigentums- oder Mietwohnung einen Ladepunkt einzurichten. Andere schreckt der hohe finanzielle Aufwand, um einen Ladepunkt zu errichten, ab“, berichtet Höffner.

Höhere Anforderung an Gebäude auf Bundesebene und in der EU

Die Große Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, den Einbau von Ladestellen für Elektrofahrzeuge von Mieterinnen und Mietern sowie Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümern rechtlich zu erleichtern. Die EU sieht vor, dass ab 2025 Hausbesitzer auf eigene Kosten mindestens eine Ladesäule für eFahrzeuge installieren müssen, wenn auf dem Parkplatz des Gebäudes mehr als zehn Stellplätze vorhanden sind. Die Investition von wenigen Euro in ein Leerrohr beim Bau, kann also Eigentümern und Mietern viele tausend Euro sparen.

Die Leerrohre können darüber hinaus auch für andere Zwecke, wie die nachträgliche Verlegung von Glasfaserkabeln bis in die Häuser verwendet werden.

Kurt Sigl, Präsident des Bundesverbands eMobilität (BEM): „Wer seinen Käufern oder Mietern eine Lademöglichkeit anbieten kann, steigert mit zunehmender Verbreitung der Neuen Mobilität auch den Wert seiner Immobilie. Das Leerrohr für wenige Euro ist also nicht nur eine sinnvolle, sondern auch eine lohnende Investition. Hier ist nun insbesondere auch der Gesetzgeber gefordert, endlich klare und sinnvolle Regelungen unter anderem für Eigentumsgemeinschaften zu treffen. Jeder Eigentümer und Mieter muss das Recht haben, sich auf eigene Kosten eine Lademöglichkeit an seinem Stellplatz zu installieren.“

Kurt Sigl sieht zudem kein Problem darin, künftig mehrere Fahrzeuge gleichzeitig laden zu können. „Derzeit gehen Negativ-Szenarien zum Laden von Elektrofahrzeugen immer von einer Gleichzeitigkeit von 1 aus. Das heißt, dass alle ihr Auto zur gleichen Zeit aufladen und in der Folge das Netz zusammenbricht. Dem ist allerdings nicht so. Unsere Mitglieder haben hierfür längst fertige Lösungen in Form eines intelligenten Lastmanagements entwickelt. In Zukunft wird eine bidirektionale Ladeinfrastruktur in einem SmartGrid zudem die weitere Integration Erneuerbarer Energien ins Stromnetz fördern, einige Millionen eFahrzeuge mit Strom versorgen und gleichzeitig den geforderten Netzausbau durch einen intelligenten Umgang mit Last- und Bedarfsspitzen in vertretbaren Grenzen halten.“

„Wir müssen endlich aufhören auf Probleme von heute mit Technik und Lösungen aus den 1970er Jahren zu reagieren“, ergänzt Jana Höffner. „Die Digitalisierung bietet uns heute schon zahlreiche Konzepte für eine intelligente Ladesteuerung. Wer heute die besten Konzepte und Systeme entwickelt, kann sie morgen weltweit vermarkten.“

Über Electrify-BW e.V.

Electrify-BW e.V. ist ein gemeinnütziger, ehrenamtlicher Verein zur Förderung der Elektromobilität und alternativer Verkehrskonzepte. Der 2015 gegründete Verein setzt sich für eine ökologische Verkehrswende ein. Electrify-BW kümmert sich um Aufklärung, Information und Bildung zum Thema nachhaltige Mobilität. Der Verein engagiert sich für barrierefreie Ladeinfrastruktur, Energiemanagement, Homogenisierung der Ladestandards und Abrechnungssysteme ein. Bei regelmäßigen Veranstaltungen vernetzt der Verein Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verbraucher miteinander.

Der Verein produziert zudem Printpublikationen, einen Audiopodcast und veranstaltet Schulungen.

Electrify-BW ist Mitglied beim Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg und engagiert sich partnerschaftlich mit dem BEM für eine nachhaltige, saubere und intermodale Neue Mobilität.

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Über den ADFC e.V.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e. V. (ADFC) vertritt bundesweit die Interessen der Alltags- und FreizeitradlerInnen. Der Verein hat mehr als 170.000 Mitglieder aller Altersstufen, davon mehr als 20.000 in Baden-Württemberg. Mehr als 500 Aktive in etwa 50 Kreis- und Ortsverbänden im Land setzen sich ehrenamtlich im ADFC Baden-Württemberg ein.

Schwerpunkte des ADFC sind: Verkehrsplanung und Verkehrspolitik, Verkehrspädagogik, Betriebsberatung, Radtourismus, Radreisen, Bett+Bike, Technik/Sicherheit/Service, Verbraucherschutz, Gesundheitsvorsorge, Fahrraddiebstahlschutz

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Der Bundesverband eMobilität setzt sich dafür ein, die Mobilität in Deutschland und Europa auf Basis Erneuerbarer Energien auf Elektromobilität umzustellen. Zu den Aufgaben des BEM gehört die Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Ausbau der eMobilität als nachhaltiges und zukunftsweisendes Mobilitätskonzept und die Durchsetzung einer Chancengleichheit bei der Umstellung auf emissionsarme Antriebskonzepte.

www.Bundesverband eMobilität e.V.

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